Das Jagdgewehr by Yasushi Inoue

Das Jagdgewehr by Yasushi Inoue

Autor:Yasushi Inoue
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik.Erzählung, Japan, Klassiker der Moderne
ISBN: 3-518-39409-6
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 1998-01-01T05:00:00+00:00


Saikos Brief

Wenn Du dies liest, bin ich nicht mehr auf Erden. Ich weiß nicht, was der Tod ist, aber ich bin mir ganz sicher, daß meine Freuden, Leiden und Ängste, sobald ich gestorben bin, für immer ein Ende haben. So viele Gedanken an Dich und Shoko werden von dieser Welt bald verschwunden sein. Mein Körper, mein Herz, das alles ist plötzlich nicht mehr da.

Trotzdem wirst Du, viele Stunden oder vielleicht sogar Tage, nachdem ich fortgegangen bin und mich in Nichts verwandelt habe, diesen Brief lesen. Er wird Dir von all dem erzählen, was mich jetzt erfüllt. Genau so wie ich während meines Lebens mit Dir sprach, wird Dir dieser Brief mitteilen, was ich dachte und fühlte, – lauter Dinge, die Du bis dahin noch nicht kanntest. Als ob ich mit Dir plauderte, wirst Du mir zuhören, wirst überrascht und traurig sein und wirst mich schelten. Ganz sicher aber weinst Du nicht. Du wirst – wie allein ich das bei Dir erlebt habe – nur sehr traurig aussehen (Midori-san kennt das bei Dir bestimmt nicht!) und wirst sagen: »Ach, Liebste, wie konntest du das tun!« Ich vermag Dein Gesicht ganz deutlich zu sehen und Deine Stimme zu hören.

Auch wenn ich tot bin, wird sich mein Leben also weiter in diesem Briefe bergen – so lange, bis Du ihn gelesen hast. Wenn Du ihn öffnest und das erste Wort liest, fängt mein Leben an, hell aufzuflammen, und fünfzehn oder zwanzig Minuten lang, bis Du das letzte Wort hinter Dich gebracht hast, werden genau wie zu der Zeit, als ich noch lebte, alle meine Gedanken in jeden Winkel Deines Körpers strömen und Dein Herz mit tausend Erinnerungen füllen. Was für ein wunderliches Ding ist doch ein ›letzter Brief‹! Obgleich das Leben, das dieser Brief enthält, nur fünfzehn oder zwanzig Minuten währt, ja, trotzdem, möchte ich Dir jetzt mein wahres Ich noch offenbaren. Es mag in diesem Augenblick entsetzlich klingen, aber ich habe mich Dir während all der Jahre nicht ein einziges Mal so gezeigt, wie ich wirklich bin. Nur das Ich, das Dir diesen Brief jetzt schreibt, ist mein wahres Ich. Ja, nur dieses allein!

Ich denke noch heute oft daran, wie zauberhaft schön der Tennozan-Berg bei Yamazaki damals aussah und wie naß die roten Herbstblätter von dem feinen Regen waren. Es war kaum zu fassen, daß es auf Erden solche Schönheit gab. Wir brachten uns unter dem alten, verschlossenen Tor des berühmten Teehauses Myokian, das in der Nähe des Bahnhofs steht, vor dem Regen in Sicherheit und schauten zu dem Berg auf, der unmittelbar hinter dem Bahnhof steil in die Höhe stieg und prachtvoll vor unseren Augen dalag. Unbewußt hielten wir vor so viel Schönheit den Atem an. War diese ungewöhnliche Szenerie nur ein launischer Scherz dieses Novemberabends, der langsam schon in Nacht überging? War die seltsame Stimmung an jenem Tage daran schuld, daß in kurzen Abständen immer neuer, feiner Regen vom Himmel strömte? Jedenfalls war der ganze Berg so farbenreich und zaubervoll, daß wir uns fast fürchteten hinaufzusteigen. Dreizehn Jahre sind seitdem vergangen, aber ich weiß noch deutlich, wie erregend hübsch das Laub aussah.



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